Das Management fachlicher Anforderungen

Verständliche fachliche Anforderungen müssen unter Berücksichtigung des geschäftlichen Hintergrundes Schritt für Schritt gesammelt und verfeinert werden. Die wichtigsten fachlichen Anforderungen ergeben sich in der Regel direkt aus einer vorangegangenen Geschäftsprozess-Analyse. Die Anforderungen sind aus Sicht der beteiligten Prozesse zu gestalten um die Verbindung zum großen Ganzen nicht zu verlieren, das in Form einer Prozesslandkarte dokumentiert werden kann.

Strukturierte funktionale (inhaltliche) Anforderungen - WAS?

Auch wenn das Konzept des "Anwendungsfalles" (Use Case) aus der "Unified Modeling Langugage" seit der Verbreitung agiler Methoden zur Softwareentwicklung an Bedeutung verloren hat, kann diese Technik bei der strukturierten Anforderungserhebung vor dem Hintergrund des Geschäftsprozess Managements in einem Geschäftsbereich (Domäne) weiterhin gute Dienste leisten. Anwendungsfälle helfen das praktische Zusammenspiel von Menschen, IT-Services und Applikationen übersichtlich und mit ausreichendem Detaillierungsgrad systematisch zu beschreiben. Weitere Informationen liefern die Beiträge Pflichtenheft und Lean Unified Model und Agiles Anforderungsmanagement.

Die Erfassung von Anwendungsfällen hilft in der Folge sowohl bei der Ableitung von Prozessbeschreibungen und Prozess-Rollen, als auch bei der Ableitung von User Stories und damit verbundenen Rollen der BenutzerInnen (Stakeholder) der geplanten Applikationen und Komponenten (z.B. Micro-Services). Die in der Folge beschriebenen Informationen können auch im Rahmen bewährter agiler Dokumentationstechniken wie Epics und User Stories gesammelt werden.

Orchestrierung von Abläufen: der ausführbarer Geschäftsprozess

Geschäftliche Abläufe, daran beteiligte IT Services und manuelle Tätigkeiten können mit Hilfe von Sprachen zur Prozessorchestrierung dokumentiert werden. Dafür hat sich die BPMN Notation bewährt, weil sie bei ausreichendem Detailgrad die Ausführung auf einem IT System erlaubt. 

Dabei wird empfohlen sowohl abstrakte langfristig stabile Geschäftsprozesse aus fachlicher Sicht in BPMN zu Dokumentieren und zu pflegen und davon getrennt auch entsprechende Umsetzungen in Form feingranularer Prozessmodelle. Letztere können in einer Container Umgebung "ausgeführt" werden wie Computerprogramme, vgl. z.B. die Zeebe Workflowengine der Firma Camunda.

Ausführbare Prozessmodelle und ihre vereinfachten fachlichen Vorlagen in BPMN Notation erleichtern die kontinuierliche Geschäftsentwicklung und Optimierung bestehender Prozesse.

Fachliche Beschreiben von Rollen, Geschäftsdaten/Objekten

Neben den Abläufen, dem Austausch von Informationen und dabei eingesetzten Berechnungen helfen sowohl Prozessmodelle, als auch Anwendungsfälle alle beteiligten Akteure (Menschen und Maschinen!), ihre Rollen und Berechtigungen zu sammeln, sowie die beteiligten IT-Systeme und die benötigten Schnittstellen, und das Format der dabei ausgetauschten oder gespeicherten (persistierten) Daten mit entsprechenden Schlüsselfeldern  in den einzelnen IT-Systemen.

Die klassische "Unified Modeling Language" (UML) bietet darüber hinaus unterschiedliche grafische Darstellungen (Diagrammtypen) für strukturierte Daten und Dokumente (OOD) und ihre Zusammenhänge unabhängig von der technischen Realisierung. Aus diesen Darstellungen können geeignete Ausschnitte und vereinfachte Methoden abgeleitet werden. Hintergrund der darin enthaltenen "Anwendungsfall-Analyse" ist eine sprachliche Beschreibung (Modellierung) von Geschäftsobjekten in Form eines Domänen-Modells (vgl. Fach-Glossars) dar. Geschäftsobjekte sind meist mit Geschäftsprozessen und Benutzerrollen zu verbinden, um z.B. Funktionen (Services) und darauf aufbauende Berechtigungsmodelle in Form einer RACI Matrix zu dokumentieren.

Aus dieser Datenspezifikation kann bei Bedarf ein Metadaten-Modell abgeleitet werden, z.B. zur Erzeugung von SQL Schemas, Json - und XML Schemas zur Anbindung von Data-Warehouse Systemen. Eine unabhängige Datenbeschreibung für einem Geschäftsbereich (Domäne) erleichtert die Spezifikation von Schnittstellen (vgl. OpenAPI) und diversen datengesteuerten Funktionalitäten, z.B. Reporting, Mobile Apps und interne Webapplikationen zur Anzeige von Informationen.

Abgewandelte "Anwendungsfälle" werden heute vorwiegend als Epics oder User Stories im Backlog einer agilen Anforderungsanalyse umgesetzt werden. Hinweis: In diesem Fall stellt die Spezifikation nicht nur ein Mittel zum Zweck dar und erfordert langfristige Pflege und Aktualisierung. 

Nichtfunktionale (technische) Anforderungen - WIE?

Die erwähnte "Unified Modeling Language" und Werkzeuge zur Dokumentation von REST basierten APIs (vgl. OpenAPI) und SOA basierten Webservices bieten strukturierte Notationen, um komplexe Schnittstellen für geplante und bestehende IT-Lösungen effizient zu beschreiben und übersichtlich darzustellen.

Neben der technischen Beschreibung von Abläufen und Schnittstellen für die erforderlichen Funktionalitäten gilt es in der Praxis eine Vielzahl nicht funktionaler Aspekte zu berücksichtigen, z.B. technische Vorgaben (Produktversionen, Standards), Vorgaben zur Betriebssicherheit, zur Sicherheit bei der Datenübertragung, und zur Unterstützung von barrierefreien Darstellungen.

Integrierte Prozess- und Anforderungsdokumentation im Intranet

Aus Sicht der eingangs beschriebenen prozessorientierten Unternehmenssteuerung sind flexible Dokumentationen bestehender und neu geplanter Prozesse und Anforderungen für dazu benötigter Services unverzichtbar für die kontinuierliche Evaluation und Umgestaltung der angewendeten Prozesse auf allen Ebenen einer Organisation. Da die Lebensdauer einer Projektes sinnvollerweise begrenzt ist, muss diese Dokumentation projektübergreifend angelegt werden. Trotzdem können Änderungen im Zusammenhang mit IT-Systemen und den beteiligten Prozessen im Rahmen eines begrenzten Projektes durchgeführt werden. Dazu wird die Aktualisierung der Online-Dokumentation als Projekt-Ergebnis definiert (Deliverable) statt sie in einem Unterkapitel des Pflichtenheftes zu beschreiben.

Vor diesem Hintergrund stellt die lebende Dokumentation dieser Informationen einen etwa gleich wertvollen Geschäftswert dar, wie die in den Prozessen eingesetzte laufende Software und deren Beschreibung - weitere Details siehe: Geschäftsprozess Management und Erweiterte User Stories.

Eine im Intranet online verfügbare strukturierte Prozess- und Anforderungssammlung mit Verweisen auf aktuelle Schnittstellen-,  Service- und Api-Dokumentation taugt als Grundlage für die Wertsicherung bestehender Prozesse und IT-Lösungen. Sie kann in Enterprise Wikis wie Confluence oder im agilen Umfeld mit geeigneten Product-Backlog Applikationen realisiert werden.